Im Restaurant: „How is the
food? Very spicy, right?“ „Yes“, meinten wir, Elli mit Tränen
in den Augen, „but we are getting used to it.“ -
Unzählige Male antworteten
wir in den ersten Wochen mit diesem Satz. Denn an so vieles muss man
sich am Anfang gewöhnen. Und als ich vor einem Monat immer wieder
diese Antwort gab, dachte ich das tatsächlich: Klima, Kleidung,
Essen... klar, es ist alles anders und vieles ungewohnt, aber ich
würde für acht Monate schon irgendwie damit klarkommen. Man gewöhnt
sich an alles. Dachte ich.
Mittags, in der Sonne, auf
der Straße: „How is the climate for you? It´s too hot for you?“
„Oh, it´s really hot... but no problem, we are getting used to
it.“ -
Und dann vergingen die Tage
und Wochen, langsam stellt sich eine Routine ein und all das am Anfang
Fremde wird nicht nur Teil des Alltags, sondern etwas, das ich jeden
Tag genießen kann: Morgens in die zwar langen, aber dafür luftigen
und bunten Chudidas; das Frühstück ist bereits würzig bis scharf,
aber unglaublich lecker; zum Büro geht es durch das spannende
Verkehrschaos, Autos, Rikschas, Tausende von Motorrädern und am
Lemon Juice Stand vorbei, wo wir kurz mit dem Verkäufer schwatzen;
wenn es zu heiß wird, wird der Ventilator angemacht und wenn
Stromausfall ist, macht man halt mal Pause bei Kerzenschein. All das,
was ich am Anfang noch ER-lebte, staunend und begeistert aufnahm,
beginne ich allmählich – und darüber staune ich noch viel mehr -
zu leben und zu genießen.
Vieles wird hier anders
gemacht, aber anders heißt ja nicht automatisch schlecht. So lerne
ich. Lerne, Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und
versuche, dadurch manches besser zu verstehen.
Als Evas Fieber uns für ein
paar Tage getrennt hat, habe ich Putzen, Waschen, Haushalt auf
Indisch von unserer Mentorin gelernt. Der Boden wird jeden morgen
geputzt, so gegen sieben Uhr, an zwei bis drei Tagen in der Woche
wird ordentlich durchgewischt. Das mag einem erstmal viel vorkommen,
doch der Boden hat hier auch einfach einen anderen Stellenwert. In
den indischen Häusern, sieht man selten viele Möbel – und am
wenigsten Tische. Zusammensitzen und arbeiten, kochen und essen, im
Bad waschen, schlafen und spielen – kurz, das gesamte tägliche
Leben spielt sich größtenteils auf dem Boden ab. Und so versteht
man auch, warum so gründlich geputzt wird und nichts herumliegen
soll. Nicht aus Überempfindlichkeit, sondern aus dem gleichen Grund,
weshalb wir den Tisch abwischen oder unser Bett machen. Auch wir
wollen nicht an einer schmutzigen Arbeitsplatte kochen oder an einem
unordentlichen Schreibtisch sitzen.
Bei all dem Neuen bin ich
dann immer umso überraschter, wenn ich plötzlich Gemeinsamkeiten
entdecke. Sei es nur, dass die Kartoffeln auf die gleiche Art
geschält werden, wie die Oma es auch immer macht oder die
Schulkinder genauso viel Lust zum Lernen haben, wie wir vor ein paar
Monaten noch – wie schön, dass es hier genauso ist.
Wir sitzen im Auto auf dem
Weg nach S. Pudur gemeinsam mit zwei anderen Mitarbeitern. Sie sind
die ganze Zeit an ihren Handys. Einmal werden beide gleichzeitig
angerufen und sprechen in die Telefone. Das ständige Telefonieren
und dass man jemanden sofort anruft, wenn man ihn sprechen will, sind
wir nicht gewöhnt. Auch dass man den Anruf immer annimmt, egal in
was für einem Gespräch man gerade steckt. Aber all diese
Kommunikation ist auch schön und praktisch... „We are getting used
to it.“ -
Und dennoch gibt es immer
wieder Dinge, an die ich mich schwer gewöhnen können, bei denen es
nicht leicht fällt, sie zum „Alltag“ hinzuzufügen. Wenn wir auf
dem Heimweg eine Frau unter einer Kühlerhaube schlafen sehen, oder
ein Kind aus dem Day Care Center aus einer kleinen, ärmlichen
Lehmhütte hüpfen, kann ich das noch nicht einfach schlucken. An den
Anblick der Armut kann ich mich gewöhnen – schneller, als ich
eigentlich möchte - ,doch das Gefühl von Hilflosigkeit, das damit
einhergeht, kann ich nur immer wieder versuchen herunterzuschlucken.
So verdaue ich langsam die
ersten Eindrücke und aus der Fremde wird ein echtes Zuhause.
Man hört auf, das „Andere“
immer sofort und direkt damit zu vergleichen, wie es in Deutschland
ist sondern lernt, es einfach anzunehmen. Mit dem Bewusstsein, dass
es seinen guten Sinn hat, selbst wenn ich ihn nicht immer sofort ganz
verstehe.
Und letztendlich kann ich
sagen: ja, „we are getting used to it“. Aber eigentlich ist es
mehr als einfaches Gewöhnen. Es ist ein Einsteigen und Annehmen
einer anderen Kultur, einer anderen Welt, die aus vielen Puzzleteilen
besteht. Das ganze Puzzle werden wir vermutlich nie ganz sehen, wenn
es denn existiert. Aber ich will und soll auch gar nicht puzzeln,
sondern das Chaos aufnehmen und versuchen, anhand der kleinen Details
ein Stück vom „großen Ganzen“ zu verstehen – und kann mich so
hier wirklich zuhause fühlen.
Wieder auf der Straße, an
einer großen Straßenkreuzung: „So much traffic right? Not like in
Germany.“ Motorräder brausen hupend vorbei. „You are right, it´s
much. But... we are getting used to it.“ -
Das sind natürlich alles
nur meine persönlichen Meinungen und Gefühle, Einschätzungen und
Gedanken, die man nicht allgemein sehen darf.
Liebe Grüße, Elli
Genial geschrieben. GSHEC ist begeistert und kann es absolut nachempfinden.
AntwortenLöschenVon euch kann man bestimmt noch viel tolles lesen. Wir freuen usn drauf! :)
Sehr ausgewogen und differenziert! Schön, dass wir deine Gedanken teilen dürfen!
AntwortenLöschenGroßartig :)
AntwortenLöschenDein Text hat mich zurück erinnert, ich bin eure begeisterte Leserin ;)
Ruth
elli, ich find' es toll, wie du damit umgehst. das ist echt schön geschrieben!
AntwortenLöschenich vermisse dich - wir vermissen dich!! :)
ganz liebe grüße, berni ;)
Toller Beitrag: Gaensehaut! Vielen Dank dafuer, dass du mich an meine eigenen Erfahrungen erinnerst!
AntwortenLöschenLg, Simon