Samstag, 21. März 2015

Der eine, vielseitige Gott

Noch immer, auch 10 Tage vor Abflug, halten sowohl das Land als auch die Arbeit jeden Tag neue Überraschungen bereit. Gerade beim Thema Religionen reichen acht Monate nicht einmal, um auch nur eine oberflächliche Vorstellung der Vielfalt an Traditionen, Glaubensrichtungen und Göttern zu bekommen. Das wurde uns besonders an einem Tag bewusst, an dem wir nach 6 Monaten Indien wieder einmal etwas ganz Neues, Unerwartetes erlebten: Wir fuhren zu einem hinduistischen Dorffest, das zu Ehren des Gottes gefeiert wurde, der in dem Tempel des Dorfes verehrt wird. Die Stimmung war volksfestmäßig. Das ganze Dorf
schien sich versammelt zu haben, es gab Musik und ein Mann verkaufte erfrischende Wassermelonen an die Leute. Erst als das Programm begann, wurde uns bewusst, mit was für einem ursprünglichen, uralten Ritual wir es hier zu tun hatten. Es war eine Mischung aus Theaterspiel, Anbetung und Comedy. Ein Priester betete die riesige, auf dem Boden liegende Göttinnenstatue an, dieser wurde ein Hahn geopfert und als Götter verkleidete Menschen spielten die Legende des Mordes an der Göttin nach. Klingt verwirrend? War es für uns auch. Eine Studentin saß neben uns und erklärte uns geduldig Geschichte und Bedeutung der Rituale mit der Selbstverständlichkeit, mit der wir die Ostergeschichte erzählen würden. In diesem Moment wurde mir noch einmal mehr etwas bewusst, was mir schon früher in Indien aufgefallen war: Die Religionen, so unterschiedlich sie auch sind, leben hier nebeneinander und miteinander. Für niemanden auf dem Fest war es ein Problem, dass wir zwei, ganz offensichtlich nicht-hinduistisch, dennoch den Segen ihres Gottes mitnahmen. Dort in Indien, wo wir sind, sind besonders Hindus, Christen und Muslime vertreten. Allein in unserer Straße gibt es zwei Tempel, eine Moschee und eine christliche Kirche, die abwechselnd durch Lautsprecher ihre heiligen Gesänge auf die Straßen schallen lassen. Als deutsche Christin ist es dann manchmal nicht ganz einfach, die eigene Art des Glaubens in diesem Gemisch aus Religionen herauszulesen. Oft gleichen die Statuen von Jesus und Maria geschmückten hinduistischen Göttern mit ihren besonders edlen Gesichtern und ihrem traditionellem Blumenschmuck. Und wenn wir mit unseren hinduistischen Mitarbeitern einen Tempel besichtigen, ist es schwierig, die gemeinschaftlichen und für jeden offenen Rituale nicht mitzumachen. Welchen Grund haben wir auch, uns das gesegnete bunte Pulver nicht wie alle anderen auf die Stirn zu malen? Eine Erklärung, die wir von einer indischen Nachbarin hörten, könnte dieses nicht immer, aber oft problemlose Zusammenleben erklären: Im Hinduismus sind all die vielfältigen Götter meistens nur die Reinkarnationen eines einzigen Gottes. So ist es nicht schwierig, Jesus, Maria und Allah in die Religionslandschaft aufzunehmen. So wie eine christliche Mitarbeiterin auf die Frage, weshalb sie auch im Tempel betete, meinte: „It´s no problem, I can pray everywhere, all same God.“ Dies ist vielleicht eine der Sachen, die ich aus Indien mitnehmen möchte, wenn wir uns am 31. März auf den Rückweg machen: Gott kann man überall finden, ob in Tempel, Moschee oder Kirche, auf taube Ohren stößt wohl niemand. 
Divine: Das Göttliche in sich selbst zu finden ist das Ziel vieler Gebetszentren und Ashrams
Groß, bunt und kitschig: Ein aufwendiger Kreuzweg vor einer christlichen Kirche
Die reichgeschmückten Tempel gehören selbstverständlich zum Straßenbild dazu und sind fast immer offen.
Ein voller Götterhimmer: ein typischer Gebetsraum eines hinduistischen Hauses
Bunt, groß und gefährlich: Statuen vor einem hinduistischen Tempel


1 Kommentar:

  1. Sehr schön geschrieben. Wenn alle so denken würden, gäbe es viele Probleme auf dieser Welt nicht.

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