Noch immer, auch 10 Tage vor Abflug, halten sowohl das Land
als auch die Arbeit jeden Tag neue Überraschungen bereit. Gerade
beim Thema Religionen reichen acht Monate nicht einmal, um auch nur
eine oberflächliche Vorstellung der Vielfalt an Traditionen,
Glaubensrichtungen und Göttern zu bekommen. Das wurde uns besonders
an einem Tag bewusst, an dem wir nach 6 Monaten Indien wieder einmal
etwas ganz Neues, Unerwartetes erlebten: Wir fuhren zu einem
hinduistischen Dorffest, das zu Ehren des Gottes gefeiert wurde, der
in dem Tempel des Dorfes verehrt wird. Die Stimmung war
volksfestmäßig. Das ganze Dorf
schien sich versammelt zu haben, es
gab Musik und ein Mann verkaufte erfrischende Wassermelonen an die
Leute. Erst als das Programm begann, wurde uns bewusst, mit was für
einem ursprünglichen, uralten Ritual wir es hier zu tun hatten. Es
war eine Mischung aus Theaterspiel, Anbetung und Comedy. Ein Priester
betete die riesige, auf dem Boden liegende Göttinnenstatue an,
dieser wurde ein Hahn geopfert und als Götter verkleidete Menschen
spielten die Legende des Mordes an der Göttin nach. Klingt
verwirrend? War es für uns auch. Eine Studentin saß neben uns und
erklärte uns geduldig Geschichte und Bedeutung der Rituale mit der
Selbstverständlichkeit, mit der wir die Ostergeschichte erzählen
würden. In diesem Moment wurde mir noch einmal mehr etwas bewusst,
was mir schon früher in Indien aufgefallen war: Die Religionen, so
unterschiedlich sie auch sind, leben hier nebeneinander und
miteinander. Für niemanden auf dem Fest war es ein Problem, dass wir zwei, ganz offensichtlich nicht-hinduistisch, dennoch den Segen
ihres Gottes mitnahmen. Dort in Indien, wo wir sind, sind besonders
Hindus, Christen und Muslime vertreten. Allein in unserer Straße
gibt es zwei Tempel, eine Moschee und eine christliche Kirche, die
abwechselnd durch Lautsprecher ihre heiligen Gesänge auf die Straßen
schallen lassen. Als deutsche Christin ist es dann manchmal nicht
ganz einfach, die eigene Art des Glaubens in diesem Gemisch aus
Religionen herauszulesen. Oft gleichen die Statuen von Jesus und
Maria geschmückten hinduistischen Göttern mit ihren besonders edlen
Gesichtern und ihrem traditionellem Blumenschmuck. Und wenn wir mit
unseren hinduistischen Mitarbeitern einen Tempel besichtigen, ist es
schwierig, die gemeinschaftlichen und für jeden offenen Rituale
nicht mitzumachen. Welchen Grund haben wir auch, uns das gesegnete
bunte Pulver nicht wie alle anderen auf die Stirn zu malen? Eine
Erklärung, die wir von einer indischen Nachbarin hörten, könnte
dieses nicht immer, aber oft problemlose Zusammenleben erklären: Im Hinduismus sind all
die vielfältigen Götter meistens nur die Reinkarnationen eines
einzigen Gottes. So ist es nicht schwierig, Jesus, Maria und Allah in
die Religionslandschaft aufzunehmen. So wie eine christliche
Mitarbeiterin auf die Frage, weshalb sie auch im Tempel betete,
meinte: „It´s no problem, I can pray everywhere, all same God.“
Dies ist vielleicht eine der Sachen, die ich aus Indien mitnehmen
möchte, wenn wir uns am 31. März auf den Rückweg machen: Gott kann
man überall finden, ob in Tempel, Moschee oder Kirche, auf taube
Ohren stößt wohl niemand.
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Divine: Das Göttliche in sich selbst zu finden ist das Ziel vieler Gebetszentren und Ashrams |
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Groß, bunt und kitschig: Ein aufwendiger Kreuzweg vor einer christlichen Kirche |
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Die reichgeschmückten Tempel gehören selbstverständlich zum Straßenbild dazu und sind fast immer offen | . |
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Ein voller Götterhimmer: ein typischer Gebetsraum eines hinduistischen Hauses |
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Bunt, groß und gefährlich: Statuen vor einem hinduistischen Tempel |
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Sehr schön geschrieben. Wenn alle so denken würden, gäbe es viele Probleme auf dieser Welt nicht.
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